Haftung des Tierarztes bei der Kaufuntersuchung
Von Rechtsanwältin Iris Müller-Klein
Die Autorin Iris Müller-Klein ist als Rechtsanwältin für Pferderecht tätig.
Wann haftet ein Tierarzt für eine fehlerhafte Kaufuntersuchung?
(Pferderecht-Wissen.de) Bevor sich der Käufer endgültig für den Kauf eines Pferdes entscheidet, holt er sich häufig Rat in einer Tierklinik. Hier möchte sich der Käufer durch eine aktuelle tierärztliche Untersuchung ein Bild über den Gesundheitszustand des Pferdes verschaffen, um dann zu entscheiden, ob er das Pferd mit diesem Gesundheitszustand und dem damit möglicherweise verbundenen Risiko für den vereinbarten Preis überhaupt erwerben will. Es fragt sich daher, unter welchen Umständen ein Tierarzt gegenüber seinem Auftraggeber – oder einem Dritten – haftet, wenn sich herausstellt, dass der am Tag der Kaufuntersuchung festgestellte Gesundheitszustand nicht zutreffend ist.
Voraussetzungen der Haftung
Die Kaufuntersuchung stellt juristisch einen Werkvertrag dar, denn der Tierarzt schuldet hier einen konkreten Erfolg in Form eines Gutachtens über den Gesundheitszustand des Pferdes am Untersuchungstag. Dies ist im Bereich der Tiermedizin eine der wenigen Ausnahmen, bei denen der Tierarzt werkvertraglich tätig wird. Üblicherweise ist der tierärztliche Behandlungsvertrag nämlich ein Dienstvertrag, da der Tierarzt nur ein Tätigkwerden schuldet, nicht hingegen einen konkreten Erfolg wie im Falle des Werkvertrages. Anderenfalls würde der Tierarzt z.B. die Heilung des Pferdes schulden und erhielte kein Honorar, käme es nicht dazu. Diese Problematik hat die Rechtsprechung gesehen, weshalb im Gegensatz zur Kaufuntersuchung die tierärztliche Heilbehandlung als Dienstvertrag qualifiziert wird.
Nach der Schuldrechtsreform wird die Kaufuntersuchung häufig vom Verkäufer des Pferdes veranlasst, um so den Marktwert des Tieres zu bestimmen, bevor es überhaupt auf dem Markt angeboten wird oder Geld in eine Ausbildung investiert wird. Die Kaufuntersuchung kann entweder nur klinisch erfolgen, oder auch zusätzlich röntgenologisch. Die Gerichte beschäftigen sich maßgeblich mit Kaufuntersuchungen, bei denen der Tierarzt Röntgenbilder des zu erwerbenden Pferdes gefertigt hat. Hintergrund ist, dass eine klinische Kaufuntersuchung in der Regel nicht reproduzierbar ist. Wer will nach Monaten beurteilen, ob eine Beugeprobe tatsächlich negativ war, oder ob ein auffälliges Atemgeräusch vorlag?! Dies ist praktisch unmöglich, so dass die Gerichte sich in der Regel mit der Frage der falschen Befundung von Röntgenbildern auseinanderzusetzen haben.
Im Falle eines Rechtsstreits ist die Frage, ob ein falsches Gutachten erstellt wurde durch einen Sachverständigen zu beurteilen. Im Gegensatz zu einer klinischen Untersuchung sind bei einer röntgenologischen Untersuchung die Röntgenbilder vorhanden, da der Tierarzt hier eine zehnjährige Aufbewahrungspflicht (§ 28 Abs. 3 S. 2 Röntgenverordnung) hat. Diese können durch den Sachverständigen, häufig einen Hochschullehrer, bewertet werden, um dann zu beurteilen, ob der die Kaufuntersuchung durchführende Tierarzt eine richtige Befundung vorgenommen hat.
Der Umfang der Kaufuntersuchung wird maßgeblich durch den Auftraggeber bestimmt. In der Regel werden 10 Röntgenbilder (ohne Knie und Rücken) gefertigt. Die Beurteilung der Röntgenbilder sollte nach dem so genannten Röntgenleitfaden erfolgen, welcher derzeit in überarbeiteter Formen durch die dritte Röntgenkommission 2007 (Prof. Dr. Gerhards, Prof. Dr. Hertsch, Dr. Jahn und Dr. Brunken) vorliegt. Der Röntgenleitfaden ist eine Empfehlung für Tierärzte zur Beurteilung der gesundheitlichen Bedeutung röntgenologischer Befunde bei der Kaufuntersuchung von Pferden. Die erhobenen röntgenologischen Befunde werden in Klassen von I – IV eingeteilt, wobei auch Zwischenklassen zulässig sind. Die Unterteilung in Zwischenklassen soll zum Ausdruck bringen, dass verschiedene Untersucher bei der Klassifizierung unter Berücksichtigung der eigenen Erfahrung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Nach den Empfehlungen im Röntgenleitfaden ist dem Tierarzt eine Erwähnung von Befunden der Klasse II freigestellt, während Befunde der Klasse II -III und schlechter bei der Befundbeschreibung mitzuteilen sind.
Erhebliches Haftungspotential ergibt sich, wenn der die Kaufuntersuchung durchführende Tierarzt eine falsche Befundung vornimmt. In der Praxis liegt den meisten Rechtsstreitigkeiten eine bei der Kaufuntersuchung vorgenommene zu gute Befundung zugrunde.
Grundsätzlich haftet der Tierarzt für die Richtigkeit des von ihm erstellten Gutachtens. Die Haftung besteht primär gegenüber dem Auftraggeber der Kaufuntersuchung, unabhängig davon, ob dies der Käufer oder der Verkäufer ist. Der Dritte, meist der Käufer, ist in den Schutzbereich des Vertrages dann einbezogen und kann selber Ansprüche gegen den Tierarzt geltend machen, wenn er keine eigenen vertraglichen Ansprüche gegen seinen Vertragspartner hat. Dies ist in der Praxis häufig der Fall, weil beispielsweise der Verkäufer des Pferdes seine Haftung vertraglich (wirksam) ausgeschlossen hat, oder Ansprüche gegen ihn verjährt sind. Bestehen keine eigenen vertraglichen Ansprüche, kann der Dritte, obgleich er nicht Auftraggeber der Kaufuntersuchung ist, eigene Ansprüche gegen den Tierarzt geltend machen.
Umfang der Haftung
Im Falle der erfolgreichen Inanspruchnahme des Tierarztes ist der Anspruchsteller so zu stellen, als habe der Tierarzt eine richtige Befundung am Tag der Kaufuntersuchung vorgenommen. Der Käufer trägt im Rahmen eines Rechtsstreits häufig vor, dass er das Pferd in Kenntnis des röntgenologischen Befundes nicht erworben hätte. Praktisch bedeutet dies, dass der Tierarzt z.B. dem Käufer sämtlichen Schaden zu ersetzen hat, der durch den Kauf entstanden ist. Dies ist in der Regel der Kaufpreis des Pferdes, Tierarzt- und Hufschmiedekosten, Unterstellkosten etc. Im Rahmen der Vorteilsausgleichung muss der Käufer das Pferd dann allerdings dem Tierarzt übereignen, anderenfalls hätte er das Pferd und alle ihm entstandenen Schäden ersetzt und stände sogar besser.
Wie lange wird gehaftet?
Hat der Tierarzt keine gesonderte Vereinbarung mit dem Auftraggeber getroffen, haftet er für sein Gutachten drei Jahre. Diese Frist ist deutlich länger als Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer bestehen. Dies ist auch der Hintergrund, warum in der Praxis häufig Prozesse gegen den Tierarzt geführt werden.
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